Personalkarte
Sergej Ussow wurde als Sohn von Maxim Ussow am 22. März 1911 [Personalkarte: 20. März 1907] in Werchinwenskij in der Molotowskaja Oblast geboren.
- Größe: 176 cm.
- Haarfarbe: schwarz
- Staatsangehörigkeit: Russe
- Religion: russisch-orthodox
- Beruf: Bauer
- Dienstgrad: Soldat
- Truppenteil: 688. Schützenregiment
- Gefangennahme: am 6. September [richtig wohl: Oktober] 1941 in Jelnja [spätere Angabe: Potschinok]
- Stammlager: X B (Sandbostel)
- Lagernummer: 122884
- Zu benachrichtigende Person: Ewgenij Ussow, Dorf Ussowo, Werchinwenskij Selsowjet, Kudimkarskij Rayon, Molotowskaja Oblast
- Vermerk: “Während d. Quarantänezeit unbekannt verstorben”
Lagerbiografie
- Stammlager X B (Sandbostel)
- versetzt zum Stalag X D (Wietzendorf) am 2. Februar 1942
- zum Arbeitskommando Hollenstedt 194/16-Ber. 3/497 XB am 27. November 1941
- im Lazarett Rotenburg am 16. Dezember 1941
- im Lager XD (Wietzendorf) am 10. Februar 1942
Sergej Ussow nahm als Soldat eines Schützenregiments 1941 an den Kämpfen in der Umgebung der Stadt Smolensk teil. Dort fanden vom Sommer bis zum Herbst 1941 mehrere große Kessel- schlachten statt. Als “Kesselschlacht bei Smolensk” sind die Kämpfe vom 10. Juli bis zum 10. September 1941 bekannt geworden, bei denen es u.a. der Roten Armee erstmals gelang, die Truppen der Wehrmacht zurück zu schlagen und damit die Verteidigung Moskaus vorzubereiten. Die sogenannte “Jelnja-Offensive” vom 30. August bis 8. September 1941 war Teil dieser Operationen.
In der sich Ende September anschließenden Doppelschlacht bei Wjasma und Brjansk bildete die Umgebung von Smolensk erneut ein Zentrum der Kampfhandlungen. Im “Kessel von Wjasma” vom 2. bis 20. Oktober 1941 erlitten die dort kämpfenden sowjetischen Armeen vernichtende Niederla- gen. Man schätzt, dass in der Doppelschlacht insgesamt mehr als 650.000 Rotarmisten in deutsche Gefangenschaft gerieten, unter ihnen vermutlich auch Sergej Ussow.
Der auf Ussows Karteikarte vorgenommene Eintrag seines Todes während einer Quarantänezeit war falsch und vermutlich von der großen Unübersichtlichkeit in den Gefangenenlagern verursacht. Hier brachen vom Herbst 1941 bis zum Frühjahr 1942 immer wieder massive Seuchen aus. Die Lager wurden danach häufig unter Quarantäne gestellt und nur noch sehr eingeschränkt von deutschem Bewachungspersonal kontrolliert, während gleichzeitig täglich Massentransporte mit verstorbenen Gefangenen zu den nahe gelegenen Friedhöfen stattfanden.
USSOW Sergej Maksimowitsch 22.03.1907 - 1977
Die Geschichte dieses Soldaten ist außergewöhnlich. Sergej war das zweite Kind in der Familie von Anna und Maxim Ussow. Die älteste Tochter war Maria, geboren 1909, und dann wurden noch Andrijan und Dmitrij geboren. Über das Vorkriegsleben dieser Familie ist wenig bekannt: der Vater Maxim Ussow wurde in den Ersten Weltkrieg einberufen und starb ganz am Anfang des Krieges. Seine Frau musste allein vier Kinder großziehen.
Zu Beginn des Krieges 1941 war Sergej Maksimowitsch bereits mit Ewgenia Semjonowna verheira- tet. Sie zogen drei Söhne auf - Fjodor, Jegor und Iwan. Sergej, das Familienoberhaupt arbeitete als Lage- rist in der Kolchose Ussowski. Am 22. August 1941 wurde er zum 688. Infanterieregiment einberufen und am 6. Oktober gefangen genommen. Im Filtrationsakt beschreibt er seine Gefangenschaft wie folgt: „Im Dorf Potschinok in der Region Smolensk wurde ich unter folgenden Umständen gefangen genommen: als ich zum zweiten Mal in der Umzingelung war, wurde ich von deutschen Artilleriegeschossen niederge- worfen. Ich fiel in diesem Moment, und als ich wieder zu Bewusstsein kam, sah ich vor mir, dass deutsche Soldaten neben mir standen und etwas auf Deutsch sagten, und nach ein paar Minuten nahmen sie mich mit.“ In Gefangenschaft traf er einen Dorfbewohner, seinen Nachbarn Semjon Trubinow, der am 5. Oktober gefangen genommen worden war. Nach Sergejs Erinnerungen wurden die Gefangenen zunächst in der Scheune festgehalten, dann in Waggons geladen und irgendwohin gefahren. In den Waggons konnten die Soldaten nur stehen, da der Raum sehr dicht gefüllt war. Die Ecken des Waggons galten als die bequems- ten Orte, an denen man sich an die Wände lehnen konnte. Ussow und Trubinow schafften es, eine dieser Ecken zu besetzen. Irgendwann versuchten einige Gefangene, den „bequemen“ Ort mit Gewalt in Besitz zu nehmen, aber Trubinow schaffte es, sich zu wehren, und sie wurden in Ruhe gelassen.
Seit Januar 1942 befand sich Sergej Ussow in deutschen Lagern: zuerst im Stalag XB, dann wurde er in das Stalag XD (310) versetzt. Schließlich musste er als Hilfsarbeiter arbeiten und Steine schleppen. Die Gefangenen wurden schlecht ernährt; viele waren geschwächt und konnten nicht mehr zur Arbeit gehen. Der Freund Sergejs, Semjon, verlor an Gewicht, Interesse am Leben, wurde jeden Tag schwächer, und als er nicht zur Arbeit gehen konnte, blieb er in der Baracke. Als Sergej und andere Gefangene von der Arbeit zurückkehrten, war Semjon verschwunden. Danach haben sie ihn nicht wieder gesehen.
Der Soldat erinnerte sich an einen anderen Fall. Einmal erschien ein Bauer vor einer Kolonne der Kriegsgefangenen und fragte: „Wer ist mit der Landwirtschaft vertraut?“ Es waren drei von ihnen, darun- ter Sergej Ussow. So landeten sie auf einem Bauernhof, wo sie zu arbeiten begannen. Sie lebten in einem Schweinestall, durch eine Wand von den Schweinen getrennt. Sie selbst kochten Essen aus Gemüse, das die Bauern erlaubten mitzunehmen. Im Frühjahr 1945 waren dann Salven von Kanonen zu hören, und es wurde klar, dass die Front bereits in der Nähe war. Sie warteten nicht und flohen einfach - so kamen sie zu den Alliierten und dann zu ihren eigenen Truppen. Und natürlich landeten sie sofort in Filtrationslagern, wo alle Umstände ihrer Gefangenschaft und des Lebens in Deutschland überprüft wurden. Die NKWD-Ver- waltung für die Region Swerdlowsk, die SMERSH-Einheit (SMERSH=”Tod der Spione”), überprüfte sie anhand der „Fahndungslisten feindlicher Agenten“. Sergej Ussow war zu dieser Zeit in einem Lager in der Stadt Kamensk-Uralsky und arbeitete in einem Aluminiumwerk. Er durfte keine Briefe schreiben und seine Familie darüber informieren, dass er am Leben war.
Wie der älteste Sohn Fjodor erinnert, gab es seit der Abreise an die Front im August 1941 keine Briefe oder Neuigkeiten über seinen Vater. Erst im Frühjahr 1947 kam ein Brief aus Kamensk-Uralsky, und bald, im April 1947, kehrte der Vater nach Hause zurück. Dann gab es ein friedliches Leben, Arbeit in der Kolchose als Pferdewärter und Vorarbeiter. Der Vater hatte keine Angst vor irgendeiner Arbeit. Zwei weitere Söhne wurden in der Familie geboren - Leonid und Semjon. Heute leben noch der ältere Fjodor und der jüngere Semjon. Fjodor lebt mit seiner Frau im Dorf Verch-Inwa im Bezirk Kudymkar. Zwei jüngere Brüder von Semjon Ussow gingen ebenfalls an die Front. Andrian wurde im August 1941 in die Armee eingezogen und erreichte Berlin und Prag. Er erhielt mehrere Orden und Medaillen und kehrte im August 1945 nach Hause zurück. Der jüngste Bruder Dmitrij durchlief fast den gesamten Krieg und starb bei Berlin.
In offiziellen Dokumenten des Verteidigungsministeriums wird Sergej Ussow als tot im Stalag XB aufgeführt und gilt sogar als im Lager Wietzendorf beigesetzt. Dies ist jedoch jener wunderbare und glückliche Fall, in dem das Leben den Tod besiegte.
Das Dorf Verch-Inwa, Sergej Ussows Geburtsort, liegt 24 Kilometer von Kudymkar entfernt. Erstmals erwähnt wurde der Ort 1678. Mittlerweile leben hier mehr als 1.100 Menschen. Das Dorf hat einen Kindergarten, eine Schule, eine Musikschule, eine Bibliothek und das Haus der Kultur. Zur Stadt Perm, dem Zentrum des Gebiets, sind es etwa 260 Kilometer oder dreieinhalb Autostunden.